Warum wir großen Wert auf Zuchtwerte legen
Prediction Error Variance (PEV)
Erklärung zur Genauigkeit der Zuchtwertschätzung
Zuchtwerte sind Zahlenwerte, die die Vererbungserwartung für ein Merkmal beschreiben. Je höher die Zahl, umso höher ist das zu erwartende Merkmalsniveau. Für Krankheitsmerkmale sind daher die hohen Zuchtwerte eine ungünstige Prognose. Es gilt immer: „Viel Zuchtwert führt zu viel Merkmal in der Nachzucht“.
Zuchtwerte stellen immer Schätzungen dar, weil sie einerseits beim Tier selbst auf einem umweltbeeinflussten Phänotyp beruhen, andererseits sind die zusätzlichen Informanten nur eine Stichprobe. Nachkommen z.B. entstehen aus einer zufälligen Hälfte seines Genoms und einer zufälligen Hälfte des Partner-Genoms, wobei der Partner nicht unbedingt repräsentativ für die Population ist. Es gibt also Fehler-Schwankungen in der Vorhersage (Prediction Error Variance), die man aufgrund der Genauigkeit der Grundinformation, der Zahl der Verwandten und dem Verwandtschaftsgrad dieser Informanten (zueinander und zum Tier), auch quantifizieren kann.
Mit steigender Zahl der Informanten wird die Stichprobe immer repräsentativer bzw. die Zuchtwerte verschiedener Tiere werden immer genauer. Der Zuchtwert enthält aber bereits diese Genauigkeit! Eine zusätzliche Berücksichtigung ist nicht notwendig, sie wäre geradezu kontraproduktiv. Wird z.B. in einer Rasse mit dem rassetypischen Niveau für HD von HD-Verdacht (HD=2) ein Tier als HD-frei eingestuft (HD=1), so wird aufgrund der Erblichkeit von z.B. 0,25 nur 25% der positiven Abweichung von einem HD-Grad als genetische Erwartung (Zuchtwert) akzeptiert. Der Zuchtwert beträgt „-¼ HD-Grad“. Wenn nun noch bei 5 Nachkommen alle HD-frei sind, so ist der Mittelwert der Informanten nach wie vor 1, jedoch ist die Information genauer. Mit Eigenbewertung und 5 Nachkommen aus 5 verschiedenen Müttern steigt die Genauigkeit so, dass 40% der Abweichung als genetisch akzeptiert wird. Die Vererbungserwartung eines HD-freien Tieres mit bereits 5 freien Nachkommen ist -0,4 HD-Grade. In den relativen Zuchtwerten (Mittelwert=100) ist der entsprechende Effekt sichtbar.
Dennoch interessieren sich Züchter für die Genauigkeit, vornehmlich, aus welchen Informationsquellen sich der Zuchtwert zusammensetzt. Es gibt in der Tierzuchtwissenschaft mehrere Messzahlen für diese Genauigkeit:
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Die Nachkommen-Äquivalente
Diese Zahl gibt an, wie viele Nachkommen aus verschiedenen Partnern die gleiche Aussagekraft haben wie die angegebene Informationsquelle. Drei Informationsquellen bestimmen den Zuchtwert:
1. Das Wissen aus dem Zuchtwert der Eltern, das heißt von allen Ahnen und deren Nachzucht, jedoch ohne das Tier,
2. das Wissen über den Phänotyp des Tieres selbst,
3. das Wissen aus der Nachzucht.
In den Listen des TG-Verlags und in Dogbase sind diese drei Nachkommen-Äquivalente angegeben. Steht dort z.B. 3.4 5.0 .0, so bedeutet das, dass der Zuchtwert so genau ist wie eine Nachzuchtprüfung mit 8.4 Nachkommen, wobei
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die Aussagekraft der Elternzuchtwerte so informativ ist wie 3.4 Nachkommen,
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die HD-Begutachtung des Tieres selbst so informativ wie 5 Nachkommen ist
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und .0 bedeutet, dass noch keine Nachzucht vorliegt.
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Die Genauigkeit der Zuchtwertschätzung
Unter Genauigkeit versteht man die Ähnlichkeit (Korrelation) des geschätzten Zuchtwertes mit dem wahren Zuchtwert. Der Zuchtfortschritt in einer Rasse ist dieser Korrelation direkt proportional, wenn nach Zuchtwerten selektiert wird. Je höher die Genauigkeit der Zuchtwertschätzung bzw. der Zuchttierbewertung in einem Zuchtprogramm ist, umso wirkungsvoller ist die Selektion. Für das o.g. Beispiel mit 8,4 Nachkommen ergibt sich eine Genauigkeit von 0,60 bzw. 60%.
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Die Sicherheit
Der Sicherheitskoeffizient ist die wahrscheinliche Übereinstimmung des geschätzten Zuchtwertes mit einem Zuchtwert, der an einer anderen, gleich informativen Stichprobe geschätzt würde. Er setzt sich zusammen aus der Genauigkeit des geschätzten Zuchtwertes mit dem wahren Zuchtwert einerseits, und der Übereinstimmung des wahren Zuchtwertes mit einem gleich genauen Zuchtwert einer anderen Stichprobe andererseits. Diese zwei gleich angenommenen Genauigkeiten multiplizieren sich, sodass der Sicherheitskoeffizient das Quadrat der Genauigkeit ist.
Die Angabe des Sicherheitskoeffizienten ist in der Nutztierzucht, vornehmlich in der Rinderzucht, üblich. Weil durch die Tierzuchtgesetzgebung die „Feststellung des Zuchtwertes“ eine behördliche Hoheitsaufgabe ist, muss (relativ) sicher sein, dass eine andere Stichprobe von Informanten zu sehr ähnlichen Zuchtwerten führt. Die geforderte Sicherheit kann nur durch eine umfangreiche Testanpaarung erreicht werden. Die Zuchtwerte werden vorher nicht veröffentlicht bzw. nicht amtlich festgestellt. In der Hundezucht ist diese Vorgehensweise unrealistisch, Testanpaarungen sind unmöglich, sowohl vom Dirigismus als auch vom zahlenmäßigen Umfang her. Züchter sind gut beraten, wenn sie junge Hunde aus hervorragenden Familien mit herausragenden Zuchtwerten einsetzen, auch wenn die Genauigkeit hinter der Genauigkeit von alten Hunden zurücksteht.
Der Sicherheitskoeffizient ist in den HD-Listen nicht aufgeführt, kann aber errechnet werden, indem man die Genauigkeit quadriert.
Damit keine Mißverständnisse entstehen, ist folgendes anzumerken:
Die Genauigkeit bzw. Sicherheit bezieht sich nur auf die Schätzung des Zuchtwertes. Es ist nicht die Sicherheit, dass ein Nachkomme so wird, wie der Zuchtwert verspricht. Selbst wenn die Zuchtwerte der beiden Eltern 100% sicher bekannt wären, so würde ca. 71% der genetischen Unterschiedlichkeit in der Rasse als „Mendel’sche Aufspaltungsvariation“ auftreten und der Genotyp des Nachkommen würde durch die unkalkulierbaren Gen- und Umwelteinflüsse zusätzlich beeinflusst. Bewusst wird das einem Züchter, wenn er die Unterschiede zwischen Vollgeschwistern betrachtet, die aus Stichproben des gleichen väterlichen und mütterlichen Genoms entstanden sind und teilweise recht deutlich streuen. Kalkulierbar, entsprechend der Genauigkeit, ist nur das mittlere Niveau der Nachzucht, das durch den Zuchtwert beschrieben wird.
NOTA BENE :
Die Genauigkeit der Zuchtwertschätzung ist kein Qualitätskriterium! Allein der Zuchtwert beschreibt die Zuchterwartung, nicht die Genauigkeit!
Da die Zuchtwerte bei weniger genauer Zuchtwertschätzung „vorsichtshalber“ schon zum Rassedurchschnitt zurückgenommen sind, müssen bei jungen Hunden wesentlich bessere Resultate vorliegen als bei alten, genauer geschätzten Tieren mit gleichem Zuchtwert.
Wer sich nur auf relativ genau geschätzte Zuchtwerte einlässt, vergisst, dass die Genauigkeit der Zuchtwertschätzung für junge Hunde nur gesteigert werden kann, wenn sie auch eingesetzt werden und die Nachzucht geprüft wird.
Entgegen der landläufigen Meinung, dass möglichst viel Nachzucht geprüft werden sollte, wird durch die Genauigkeit der Zuchtwertschätzung deutlich, dass ab einer bestimmten Informationsmenge der Informationszuwachs durch weitere Nachkommen nur noch minimal ist, insbesondere dann, wenn bereits schon Vollgeschwister zu den neu geprüften Tieren vorliegen.